Fall 2: Polizeiball |
"Polizeiball!“ Luise spie das Wort derartig emotionsgeladen aus, dass
eine kleine Fontäne auf meinen Kater Kasimir niederging, der es sich
auf dem Küchentisch zwischen unseren Teetassen gemütlich gemacht
hatte. Alarmiert sprang er auf, ging jedoch zur Tagesordnung über,
als er merkte, dass keine unmittelbare Gefahr drohte. Er reckte sich vornüber,
das kleine Ärschchen in die Luft und verließ majestätisch
seinen Standort, um eine aufrechte Imponierhaltung am Kratzbaum einzunehmen,
wo er sich vorgeblich die Krallen schärfte.
„Ein Ball? Was ist daran so schlimm?“, fragte ich vorsichtig
„Zeitverschwendung!“, schleuderte mir meine Schwester entgegen. „Doofes
Gerede und Rumgehopse.“
„Dann geh doch nicht hin.“
„Wollte ich auch nicht. Aber Möllkamp hat mir zu verstehen gegeben,
dass er von seinen führenden Kräften die Anwesenheit erwartet.“
Das war die Archillesferse meiner Schwester. Sie macht gewöhnlich,
was ihr Chef ihr sagt, auch wenn sie lauthals protestiert und in meiner
Küche schon wiederholt die Ansicht vertreten hat, dass irgendein Vitamin
B Möllkamp in seinen jetzigen Status befördert haben müsse,
weil es fachliches Know-how keinesfalls sein könne. Womit sie sogar
Recht haben könnte. Mir ist jedenfalls kein einziger Fall bekannt,
wo fachliche Kompetenz den Ausschlag zu einer Stellenbesetzung in oberen
Rängen gegeben hätte. Meist geht es wohl mehr darum, wie man
das Bisschen, was man weiß, verkauft. Darin war meine Schwester noch
nie wirklich geschickt. Schon rein optisch. Dunkelblauer Hosenanzug. Brauner
Zopf auf dem Rücken. Völlig ungeschminkt. Ich muss meine Aussage
von eben leicht revidieren. Im Fall von Luise hat wohl doch einmal Sein
über Schein gesiegt als sie zur Kriminalhauptkommissarin aufstieg.
Aber das ist die berühmte seltene Ausnahme. Unglücklich schlürfte
Luise einen Schluck Tee.
„Wann ist denn der Ball?“
„Morgen Abend, 20:00 Uhr in der Stadthalle.“
„Sind denn keine netten Kollegen da?“
„Tina und Huber kommen zusammen. Wallner und Rubisch auch. Lewinsky
ist kein netter Kollege, kommt aber wahrscheinlich mit der Chefsekretärin
vom Polizeipräsidenten oder so, was mir aber wurscht ist, weil ich
um den sowie einen Bogen machen werden.“
Das klang sehr danach, als habe sich meine Schwester mit ihrem Schicksal
abgefunden, morgen auf diesem Ball ein Sektglas von einer Hand in die andere
zu balancieren.
„Kommt der Drogenbulle nicht, dieser Ferdi?“
„Weiß nicht!“ Luise spähte in ihre Teetasse. „Ich finde
es schrecklich, allein hinzugehen. Da muss ich erst mal Gesprächspartner
suchen, sonst stehe ich den ganzen Abend dumm rum.“ Sie trank noch einen
Schluck. „Kommst du mit?“
„Ich?“
„Ja.“
„Auf den Polizeiball?“ Naja, warum eigentlich nicht?
Da hatte ich mich auf was eingelassen. Kaum hatte meine Schwester zugesagt,
fing sie auch schon an, blöde Fragen zu stellen.
„Sag mal, was ziehst du eigentlich an?“
Meinen blauen Hosenanzug natürlich. Passt immer. Polizeiball.
Ist doch nichts Besonderes, Warum sollte ich mich dafür ich Schale
schmeißen? Da hatte ich natürlich nicht mit Xenia gerechnet.
Die forderte gleich, dass wir zu mir nach Hause führen und meinen
Kleiderschrank einer Inspektion unterzögen..
„Hast du kein Kleid außer diesem roten Strickteil?“, äußerte
sie mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Nein! Warum auch? Wofür?
„Dann musst du dir von mir was leihen.“
„Spinnst du? Ich habe keine Lust, wie ein Pfau auf dem Ball herumzustolzieren.“
„Wie ein Pfau! Soso.“ Jetzt war Xenia ernsthaft beleidigt.
„Zeig mal her!“, lenkte ich ein. Schließlich wollte ich meine
Eskorte nicht gefährden.
Wenig später standen wir vor Xenias Kleiderschrank, der gut doppelt
so groß ist wie meiner. Xenia warf mir ein schlichtes schwarzes Kleid
zu. „Probier mal!“
Da wir beide eine ähnliche Figur haben, passte es wie angegossen.
Gar nicht so übel. Nicht, dass ich mir so was gekauft hätte!
„Hast du Schuhe dazu?“
„Was?“
„Hast du schwarze Schuhe, die nicht nach Gesundheitslatschen aussehen?“
Ich schluckte meinen Ärger herunter. „Ja, vom Tanzkurs früher.
Seitdem sind meine Füße nicht mehr gewachsen.“
„Gut. Seidenstrümpfe? Egal! Kriegst du von mir. Ich komme aber
nur mit, wenn du dich vorher von mir frisieren und schminken lässt.
Pünktlich um 18:00 Uhr bist du bei mir!“
Das war natürlich eine grobe Erpressung. Aber meine Schwester
hatte die besseren Karten. Schließlich wollte ich, dass sie mich
begleitete..
Um 18:00 Uhr formte sie meine Haare zu einer raffinierten Hochsteckfrisur,
die sie mit einigen Kämmchen und Spangen in Form brachte. Zuletzt
nebelte sie etwas Haarspray darauf, weswegen ich erschreckt die Augen schloss.
Dann widmete sie sich meinem Gesicht.
„Hör auf, die Augen zusammenzukneifen“, kommandierte Xenia und
drückte mein Kinn nach oben. "So geht das nicht. Jetzt muss ich den
Kajal nochmal abwischen, weil du zuviel herumzappelst!"
Ich ergab mich meinem Schicksal. Als Xenia mir Creme, Make-up und was-weiß-ich-noch-alles
ins Gesicht schmierte. Sonst wurden wir hier nie mehr fertig.
„Du siehst toll aus!“, verkündete sie abschließend, nachdem
sie meine Lippen mit einem Farbstift traktiert hatte. Aus dem Spiegel schaute
mich eine Frau an, die entfernt Luise ähnelte und eine elegante Version
von Xenia war, mit kühlblau geschminkten braunen Augen. Plötzlich
fühlte ich mich wie eine Schauspielerin, die in eine Rolle schlüpft.
Balldame. Xenia hatte ihre Aufmachung schon so weit vorangetrieben, dass
sie nur noch in ihre grüne Robe schlüpfen musste, die ihre oliv
umrahmten Augen leuchten ließ. Sie wählte dazu Weißgoldschmuck
von Oma Xenia, Smaragde mit Brillianten umgeben als Ohrgehänge und
Collier mitsamt einer passenden, aber nachgehenden, Uhr und diente mir
noch Oma Xenias Perlenkette samt Perlenohrklipsen an.
Fast pünktlich um 20: 21 Uhr erreichten wir den Ballsaal mit den
Kristallleuchtern, in dem schon fröhliches Treiben herrschte. Am liebsten
wäre ich gleich wieder umgekehrt. Smalltalk liegt mir eben nicht.
Aber Xenia drückte mir ein Sektglas in die Hand, das sie von einem
Tablett entnommen hatte. Ein großer blonder Kellner ging damit in
der Gegend herum und füllte an einem seitlichen, weiß gedeckten
Tisch immer wieder neue Gläser auf. Zu diesem Zweck lagerten Sektflaschen
in mit Eis aufgefüllten silbernen Kühlern. Was für ein Aufstand!
„…freuen wir uns, auch in diesem Jahr mit allen Kolleginnen und Kollegen
in unbeschwerter Atmosphäre jenseits unserer Dienstschreibtische zu
feiern, zu genießen, zu tanzen und zu plaudern.“
Höflicher Beifall. Dies war das Ende der Rede eines Polizeioberen,
der in diesem Jahr die Begrüßung übernommen hatte.
Xenia hatte sich mittlerweile ein neues Sektglas organisiert. Mit glänzenden
Augen verkündete sie:
„Ist doch ganz nett hier, weiß gar nicht was du hast.“
„Sauf nicht so viel! Das fällt auf mich zurück!!
„Red nicht so’n Blödsinn. Misch dich unters Volk. Und zieh nicht
so’n Gesicht.“
Als Xenia sich umdrehte, trat sie einer beleibten Dame auf den Fuß,
die ihr imposantes Dekolleté mit einem ebenso voluminösen Funken
sprühenden Rubin geschmückt hatte.
„Oh, Entschuldigung!“, bedauerte sie höflich, um sogleich begeisterte
Töne anzustimmen. „Was für ein wunderschönes Collier! Sie
sind zu beneiden!“
„Ein Erbstück meiner Großmutter!“, sagte die Dame völlig
befriedigt. Ein relatives Fliegengewicht wie Xenia auf ihrem kompakten
Laufwerkzeug war vermutlich kaum zu spüren.
Ich meinte, diese Frau neulich mit ihrem Klunker auf der "Mittendrin-Seite"
der Zeitung gesehen zu haben. Da werden events der Reichen und Schönen
nachbehandelt. Völlig überflüssig meiner Meinung nach. Das
Bild war mir aufgefallen, weil die Klunkerdame als Ehefrau eines ranghohen
Polizisten direkt neben Möllkamp stand, dessen Fliege einen ähnlichen
Rotton aufwies. Daneben übrigens noch der im Untertitel ebenfalls
erwähnte Lewinsky.
„Leider hat mir meine Großmutter so etwas nicht vererbt!“, setzte
Xenia nach.
„Ihr Smaragdschmuck ist geschmackvoll“, verkündete huldvoll die
Rubinbesitzerin.
„Auch von der Oma. Meine Großmutter Xenia…“
Und schon war Xenia in einem Gespräch über Verwandte und
ihre Hinterlassenschaften. Das war schon immer so. Sie kann Dialoge anknüpfen,
wenn die Angebote dünn wie Spinnweben im Raum schweben. Ich gucke
erst mal zu, ob es einen Ast gibt, an dem sie hängen bleiben. Überlege
mir, wie daraus ein Netz entstehen könnte. Dann ist der Gesprächspartner
manchmal schon verschwunden. Komischerweise gilt das nur für den privaten
Bereich. Im dienstlichen Bereich kommuniziere ich präzise und zielgerichtet.
Deswegen mag ich auch keine Polizeibälle. Da wird mein Mangel offenbar.
Ich komme mir vor wie ein Zinnsoldat, der mit der Ballerina tanzen muss.
„Wow, Luise, du siehst super aus!“ Tina stieß ihr Glas gegen
meins, im Schlepp Huber. Mittlerweile bin ich nahezu überzeugt, dass
sie wirklich ein Paar sind, wie Lewinsky immer wieder behauptet. Wir redeten
eine Weile, was erstaunlich leicht ging. Über dienstliche Themen.
Aber mit einer Heiterkeit, die wir sonst nicht so haben. Ich nippte an
meinem Glas.
„Hast du schon gesehen? Lewinsky hat eine aufgedonnerte Blondine mitgebracht?“
„Ich dachte, der käme mit einer Chefsekretärin aus den oberen
Etagen.“
„Nur ein Gerücht. Aber Lewinskys Frauenverschleiß ist wohl
überdurchschnittlich.“
Wenn man vom Teufel redet. …
„Das ist meine neue Freundin Vivien!“ stellte Lewinsky vor. Die schlanke
Frau mit dem blonden kunstvoll hochgesteckten Mopp trug ein blaues Glitzerkleid
und eine kleine Stofftasche gleicher Farbe am Arm. Ihre rot geschminkten
Lippen glänzten im gleichen Farbton wie die roten Klunker auf ihrem
herausquellenden, üppigen Busen.
Ich nickte neutral, eher streng. Ich finde Kleider, wo man befürchten
muss, dass früher oder später die Brustwarzen versehentlich herausfallen,
peinlich. Lewinsky hatte wohl auch schon mehr als einen Sekt getrunken.
Eine ausladende Bewegung führte seine Hand in die Kette seiner Freundin.
Ich befürchtete schon, er würde sie herunterreißen, was
uns zum Glück erspart blieb. Lewinsky nahm die Lage gewöhnlich
charmant. "Liebling, ich will dir an die Wäsche, aber dich nicht an
die Kette legen."
Er war der einzige, der das witzig fand. Ich setzte mich schnell ab
und überließ Tina und Huber den schwarzen Peter.
„Luise, wie schön, dich zu sehen!“ Vor mir hatte sich Ferdinand
Neugebauer aufgebaut. Im schwarzen Anzug. Den weißen Hemdkragen samt
Krawatte hatte er schon gelockert. Die Krawatte enthielt schwerpunktmäßig
die Farbe seiner Augen, die dadurch leuchteten wie Blätter nach einem
Frühlingsregen.
„Wo ist denn Fricko?“
„Der bewacht meine Zweizimmerwohnung.“
Ich lachte und in Nullkommanichts waren wir in ein Gespräch vertieft,
das sich im Wesentlichen um unsere aktuellen Fälle drehte. Wo war
eigentlich meine Schwester?
Ich unterhielt mich ein wenig mit der molligen Dame. Die war gar nicht
so übel. Kein Bisschen „Etepetete“. Die grauen Haare kurz geschnitten,
kaum geschminkt. Das einzig Extravagante an ihr war der Rubin. Sie erzählte
gerade, wie sie in ihrer Vierzimmerwohnung einen Wurf von acht Labradorwelpen
großgezogen hatte, die die Möbel anknabberten und Vorhänge
apportierten, als das Licht plötzlich erlosch. Ein vielstimmiges „Oh!“.
Ich hörte plötzlich meine Gesprächspartnerin aufschreien.
„Au! Hilfe! Ein Dieb!“ Nun brach natürlich Unruhe aus. Die Leute stießen
aneinander. Kurz darauf schrie eine weitere Frau auf. „Hilfe! Diebstahl!“
„Alle bleiben stehen! Niemand bewegt sich!“, donnerte die Stimme meiner
Schwester durch den Saal.
„Sicher nur eine kurze Störung. Keine Panik, Kollegen!“, fiel
eine sonore Baritonstimme ein, mutmaßlich Ferdinand Neugebauer, der
Drogenbulle.
Immer mehr Mahner im Dunkel riefen die Anwesenden dazu auf, Ruhe zu
bewahren, als auch schon wieder das Licht an ging. Die Leute standen wie
vorher mit ihren Sektgläsern in der Hand. Die lockere Stimmung aber
war dahin. Misstrauisch blickten sich alle um. Meine Gesprächspartnerin
hatte weit aufgerissene Augen. Und atmete heftig. Das Collier mit dem Rubin
war verschwunden. An ihrem Hals sah ich einen roten Striemen. Offenbar
hatte jemand zugegriffen und das Schmuckstück abgerissen. Eine Träne
stahl sich aus ihren Augen, während sie die Zähne zusammenbiss.
Ein lautes Heulen in unmittelbarer Nähe ließ mich zusammenzucken.
Lewinskys Blondine hatte auch ihre Klunker eingebüßt. Im Gegensatz
zu der älteren Frau machte sie aber ein Mordsgezeter. Wankte zu dem
Tisch mit den nunmehr leeren Sektflaschen hinüber, von Lewinsky linkisch
am Ellbogen gestützt. Mit einem Aufschluchzen fiel sie auf einen der
dort am Rand stehenden Stühle, wobei sie die Arme theatralisch entfaltete.
Ihre Tasche rutschte auf den Tisch und warf dabei zwei leere Sektgläser
um. Das schien sie gar nicht zu bemerken. „Mein Collier! Abgerissen. Geklaut.“
Mit einem erneuten Schluchzen schlug sie die Hände vors Gesicht und
krümmte sich vor Schmerz auf ihrem Sitz zusammen.
„Einen Arzt! Gibt es hier einen Arzt?“, schrie Lewinsky. „Mein Gott!
Vivien! Beruhige dich!“ Er streichelte über ihren sonnenstudiogebräunten
Nacken und drückte einen Kuss darauf. Vivien ließ ein Seufzen
vernehmen, stand auf, ging vielleicht zehn, zwölf Schritte und sackte
dann langsam zusammen. Wenig später lag sie langgestreckt auf dem
Boden. Ihre kunstvolle Frisur hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst.
Mit den ihr Gesicht umgebenden Haaren sah sie aus wie ein Rauschgoldengel.
Lewinsky war neben ihr auf die Knie gegangen.
„Ein Arzt! Sie ist ohnmächtig geworden. Vivi, he, mach keinen
Quatsch.“
Ferdi und ich waren mittlerweile auch näher getreten. Da schob
sich Werners, der Gerichtsmediziner durch die Menge, die sich teilte wie
das rote Meer vor Moses.
Er schlug auf Viviens Wangen. „Los, aufwachen, Kleine!“
„Ist schon lange her, dass ich lebende Patienten betreut habe“, setzte
er nach, als das Mädel die Augen aufschlug, um sogleich wieder loszuzetern.
„Meine Kette! Voller Rubine. Die ist wahnsinnig wertvoll.“
„Meine auch!“, sagte mit leiser Stimme die grauhaarige Dame, der Xenia
auf den Fuß gestiegen war. "Der Verschluss war etwas locker, aber
hat immer gehalten." Ein dicker Mann mit Schweißperlen auf Stirn
und Halbglatze hatte den Arm um ihre Schultern gelegt.
Langsam machte sich die Gewissheit breit, dass mitten auf dem Polizeiball
ein dreister Dieb zugeschlagen hatte. Aber wie wollte er das Zeug rausschaffen?
Oder war er schon weg? Zeit genug hatten wir ihm gelassen! Und das im Wesentlichen
aus Gründen der Polizeihierarchie. Jeder ist gewohnt, Befehle der
nächsthöheren Ebene zu befolgen, aber wo war die gerade? Da konnte
ja nicht einfach jeder Streifenpolizist machen, was er wollte!
„Eingänge sichern!“, dröhnte die Stimme eines Polizeioberen
durch den Raum
Krause hatte soeben eine Tür geschlossen und sich breit davor
aufgebaut. „Hier kommt keiner mehr durch!“, verkündete er grimmig.
So nach und nach schlossen sich alle Türen. Und irgendjemand hielt
die Stellung.
Die Polizeiführung hatte sich in einem kleinen Kreis zusammengefunden,
um das weitere Vorgehen zu beratschlagen. Eine nervöse Unruhe machte
sich breit.
Lewinsky war es mittlerweile gelungen, seine hysterische Blondine unter
Kontrolle zu kriegen, was die Sache erträglicher machte. Das andere
Raubopfer weinte lautlos, getröstet vom Ehemann, der ihr linkisch
sein zerknülltes Taschentuch anbot.
„Wir vernehmen jetzt zeitgleich die beiden Opfer“, verkündete
der Chef der Abteilung für Eigentumsdelikte. „Niemand verlässt
den Saal.“
Der blonde Kellner balancierte mit einem ähnlich debilen Grinsen
wie Lewinskys Flamme hilflos das Sekttablett durch die Gegend. „Möchten
Sie noch ein Glas? Beruhigt die Nerven!“, bot er mir an.
Natürlich nahm ich noch ein Glas Sekt. Dass der Polizeiball so
spannend werden würde, damit hätte ich im Traum nicht gerechnet!
War ja richtig was los hier! Außer mir gab es reichlich Besucher,
die noch einmal zugriffen. Hatte sich doch gelohnt, dass der blonde Kellner
kurz vor der totalen Absperrung noch eine Ladung Flaschen hineingetragen
hatte. Natürlich schlich ich mich an die Befragungen an. Ohne großen
Erfolg. Sie sprachen ziemlich leise. Ich sah Luise mit Ferdi plaudern,
grinste in mich hinein. Da wollte ich nicht stören. Was war geschehen?
Das Licht war ausgegangen. Das war natürlich abgekartet. Wahrscheinlich
kurz den Sicherungshebel oder noch einfacher, den Lichtschalter umgelegt.
Gab es dafür ein Signal? Immerhin musste sichergestellt sein, dass
sich der Dieb in unmittelbarer Nähe der Opfer aufhielt, damit er schnell
zuschlagen konnte. Viel Zeit war da nicht. Dann musste der Schmuck schnell
verschwinden. Wie? Die Seitentaschen einer Anzugjacke waren dafür
bestimmt geeignet. Bei den meisten Anzügen gab es Innentaschen. Eine
leichte Beule fiel da nicht weiter auf. Schmuck war allerdings meist Frauensache.
Figurbetonte Kleider mit Spaghetti-Trägern boten jedoch wenig Versteckmöglichkeiten,
aber wie war es mit Handtaschen? Oder Strumpfbändern, in die man die
Ketten schnell einhängte. Oder, noch besser, man ließ den Schmuck
einfach zwischen die Brüste gleiten in eine extra dafür vorbereitete
Tasche womöglich.
„Ich nehme an, dass keiner der hier Anwesenden etwas dagegen hat, sich
einer Leibesvisitation zu unterziehen!“, verkündete ein Polizist.
Gemurre wurde laut, aber schließlich wurden doch ordentliche
Reihen gebildet, sortiert nach Männlein und Weiblein, die das Procedere
erleichtern halfen, während zeitgleich die Leute vom Einbruchsdezernat
versuchten, festzustellen, wer zum Zeitpunkt des Lichtausfalls wo im Raum
unterwegs war. Ich versuchte mich auch zu erinnern. Ich unterhielt mich
mit der Labradorfrau. Ziemlich nah standen Lewinsky und seine Blondie.
Die war ja auch beklaut worden. Wer war da noch? Ich kriegte es nicht auf
die Reihe. Da war eine Lady eingehüllt in eine schwere Parfümwolke,
ein Mann, vielleicht ihr Gatte, mit gnadenlosem Rasierwasserflair. Ein
junger Mann trug einen lässigen dunkelbraunen Anzug, eigentlich unpassend
und suchte linkisch nach Anschluss. He, vielleicht gehörte der gar
nicht auf den Ball, hatte keine Einladung. Wo war der Kerl geblieben?
Ich schob mich durch die Massen.
„Sie sind gleich dran mit der Leibesvisitation!“, schrie eine Matrone
hinter mir her.
„Keine Angst, ich laufe nicht weg!“, entgegnete ich süffisant.
Als ich die Männerschlange passierte, wurde gerade der Mann im
braunen Anzug gefilzt. Er zeigt sich unsicher und peinlich berührt.
Aber sie fanden nichts.
Ich stieß auf Luise und Ferdi, die sich noch nicht eingereiht
hatten.
„Das ist doch Quatsch!“, merkte Ferdi an, „wetten, dass die nichts
finden.“
Er behielt natürlich Recht. Und ich die Leibesvisitation in unangenehmer
Erinnerung.
Wieder trafen sich die Polizeioberen in der Mitte des Raumes, um das
weitere Vorgehen zu beraten.
„Darf ich mal aufs Klo?“, fragte eine Frau.
Ungehalten sahen die Männer auf. Schon bereit, nein zu sagen,
erkannten sie gerade noch rechtzeitig Lewinskys Vivi. Sie sah etwas derangiert
aus. Ihre Haare hingen in wilden Locken herab. Ihr Dekolleté wirkte
sehr offenherzig, die Hände hingen herab.
Die Gesichter der Herren entspannten sich. „Natürlich, gnädige
Frau.“
Vivien versuchte ein Lächeln und setzte sich in Bewegung. Irgendetwas
stimmte nicht. Da fehlte was. Ich schrie: Halt!“
Alarmierte Blicke allerorten. Vivien zog die Augenbrauen hoch.
„Habt ihr die eigentlich schon gefilzt?“
„Aber Frau Wiese“, tadelte Möllkamp, der plötzlich aus dem
Nichts auftauchte. „Wer wird denn ein Opfer durchsuchen?“
„Wer weiß, ob sie ein Opfer ist!“, entgegnete ich mit Härte,
denn mich durchzuckte plötzlich eine Erkenntnis..
„Sie können mich ruhig durchsuchen!“, zickte Vivi. „ich habe nichts
zu verbergen.“
„Doch!“ Meine Schwester stellte sich neben mich. „Und das können
wir auch beweisen.“
Wie ist der Schmuckdiebstahl abgelaufen?