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Fall 3: Küstenmakrelen


"Ich wohne am Hospizplatz 3c." Inselpolizist Habbo strahlte mich mit seinen meerblauen Augen an. "Ich freu mich so, dass du zum Essen kommst. Ist dir 19:00 Uhr recht? Meine Mutter geht heute Abend zu ihrer Canastarunde. Wir haben unsere Ruhe." Ich nickte etwas beklommen ob seines Enthusiasmus. Hoffentlich verstand Habbo da nicht was falsch. War doch nur ein nettes Gespräch zwischen Kollegen. Fricko, mein Leihpolizeihund, wedelte mit dem Schwanz und schaute Habbo aufmerksam an. Der öffnete die Schreibtischschublade, holte ein Leckerchen hervor und warf es dem Tier zu. Kaum zu glauben. Wir waren noch keine Woche auf Langeoog, und Fricko hatte es schon verstanden, Habbo an seine Nahrungsvorlieben zu erinnern. "Ich koche uns was Schönes!", verkündete der Polizist zum Abschied.
Ich verließ die kleine Wache und zog meinen Notizblock hervor, schrieb mir Adresse und Uhrzeit auf. Soviel wie ich immer im Kopf haben muss! Da kann eine Anschrift leicht mal verloren gehen! Essen mit Habbo. Ist ja eigentlich ein richtig netter Kerl. Xenia müsste sich heute Abend die Zeit allein vertreiben. Könnte ja einen Sanddorngrog mit Frau Jensen, unserer Wirtin, trinken und Langeooger Räuberpistolen von ihr einfordern.
Als ich die Tür zur Pension aufschloss, stank es erbärmlich. Frau Jensen war gerade dabei, mit Terpentin die Treppe abzuwischen. Wahrscheinlich hatte sich irgendein Gast nicht an die eiserne Regel gehalten, die Strandschuhe draußen abzufegen und gleich im Flur auszuziehen.
"Ach, Frau Wiese, Ihre Schwester ist eben zum Meer gegangen. Wenn sie gewusst hätte, dass Sie jetzt schon kommen, hätte sie bestimmt auf Sie gewartet."
Da hatte ich ja nochmal Glück gehabt. Sonst wäre Xenia schwer abzuschütteln gewesen. Ich ging die knarrende Treppe hinauf, warf meine Tasche auf das Doppelbett in unserem Zimmer, holte Ortsplan und Zettel hervor und schaute, wo der Hospizplatz lag.
Musste ich was mitbringen? Habbo machte bestimmt Fisch. Ich marschierte in den Supermarkt und erstand einen überteuerten, aber immerhin vorgekühlten Weißwein. Er hatte eine durchaus akzeptable Temperatur als ich pünktlich um 19:00 Uhr am Hospizplatz 3c klingelte. Habbo riss die Tür so schnell auf, als habe er dahinter gewartet. Seine Uniform hatte er gegen Jeans und T-Shirt getauscht, die Schürze mit einem zähnefletschenden Hai darauf noch umgebunden. Habbo wollte mich umarmen. Ich schob die Weinflasche nach vorn. Das ging mir dann doch zu weit. Habbos Begeisterung war dadurch nicht beeinträchtigt. "Komm rein, zieh dich aus und setz dich. Möchtest du vielleicht einen Sherry trocken oder halbtrocken?"
Ich stutzte kurz ob dieser Aufforderung. "Na, ich muss ja kein Auto mehr fahren. Einen trockenen Sherry, bitte." Fricko war schon vorgegangen ins Wohnzimmer und schnüffelte interessiert herum. Habbo hatte die Tafel mit einem marinefarbenen Tischtuch gedeckt, Servietten mit Muschelaufdruck, In einem kleinen Holzschiff befanden sich statt der Masten blaue Kerzen, die vor sich hin flackerten. Weiße Teller mit Goldrand, daneben Silberbesteck. Habbo pustete etwas Staub von den verspielt geformten, antiken Sherrygläsern und goss ein. "Auf einen schönen Abend." Er prostete mir zu. "Die Vorspeise kommt gleich!" Grinsend zog er aus seiner Schürzentasche ein Leckerchen und warf es Fricko zu, der es geschickt auffing.
Es klingelte. Habbo marschierte zur Tür und kam wenig später zurück, im Schlepptau- XENIA.
"Du hast ja extra den Zettel und den Stadtplan auf dem Bett liegen lassen, da habe ich das hier prima gefunden!", sagte sie zur Begrüßung und zu Habbo. "Einen Sherry hätte ich jetzt auch gern."
 

Meine Schwester weiß wirklich nicht, was sie will. Sie machte ein Gesicht, als würde ich stören. Dabei erzählte sie mir seit Tagen, dass Habbo einfach nur ein netter Kollege wäre, mit dem sie sonst nichts im Sinn hätte. Jetzt rollte ich pflichtgemäß als Anstandswauwau an, da war das auch nicht richtig. Luises Leihbello lag friedlich unter dem Tisch. Und wartete vermutlich ebenfalls aufs Futter. Hoffentlich kochte Habbo wenigstens gut. Die Vorspeise konnte sich sehen lassen. Meeresfrüchte mit einer Kräutersoße. Natürlich nicht so lecker wie bei Milan, meinem Freund. Aber der macht das hauptberuflich, und Habbo ist Polizist. Zwei, drei Garnelen fielen wie zufällig herunter. Ich weiß, dass Luise das nicht mag, aber Fricko sollte schließlich nicht leben wie ein Hund. Habbo brachte den Hauptgang herein:
"Das sind Küstenmakrelen", erklärte er. "Ich habe leider nur zwei, aber wir können sie ja teilen." Bewaffnet mit einem Messer machte er sich an die Arbeit, die dampfenden, zum Glück, recht großen Fische zu zerlegen, da hörte man Schlüsselgeräusche und bald darauf einige weibliche Stimmen. Die Tür wurde geöffnet, und drei flotte Seniorinnen erschienen auf der Bildfläche. Habbo fiel die Kinnlade herunter: "Muddi, wo kommst du denn her? Ich dachte..."
"Die Liesel ist schlecht zurecht heute, da müssen wir uns hier treffen. Habbo, willst du die Damen nicht vorstellen?"
"Äh, Luise und Xenia Wiese. Wir haben zusammen gearbeitet in dem Mordfall 2008, du weißt schon, Muddi."
Sie nickte gnädig. Die Frau schien ein rechter Haudegen. Sehr zupackend. Die beiden alten Tanten in ihrer Begleitung waren aus anderem Holz geschnitzt. Die eine, ein sehr zierliches Persönchen, hatte ordentlich gedauerwellte Haare, die andere wirkte dick und gemütlich.
"Frau Tete", Habbo wies auf die Kleine, "und Frau Rosel." Die Dicke. Habbo hatte sich erstaunlich schnell gefangen.
"Schön, dass du was zubereitet hast, ich habe einen Bärenhunger", verkündete Muddi und ließ sich gleich nieder. "Setzt euch, Mädels."
Frau Tete und Frau Rosel nahmen etwas zögerlich Platz. "Meinst du nicht, Lene, dass die Jugend allein....." wandte Frau Tete ein.
"Ach, keinesfalls", erwiderte Muddi., "nicht wahr, Habbo?" Was sollte er dazu sagen? Er holte drei Teller heraus und begann, etwas missgestimmt, wie mir schien, die Fische noch mehr zu zerteilen. Zum Glück aß wenigstens Frau Tete wie ein Vögelchen.


Als Kriminalhauptkommissarin bin ich Überraschungen gewöhnt. Aber einen solchen Abend hatte ich noch nie erlebt. Die drei alten Damen sprachen munter dem Weißwein zu, es wurden weitere Flaschen aus dem Keller geholt. Das Essen war bald komplett verputzt, wobei das ein oder andere Stückchen Fisch und Kartoffel unter dem Tisch landete. Fricko fraß schneller als ich protestieren konnte. Hoffentlich verkorkste er sich nicht den Magen. Habbo schleppte den letzten Gang herein. "Es gibt Auricher Pastorenkuchen mit Rumpunsch oder Tee", verkündete er wie der Chefkellner im Nordseehotel.
"Mein Lieblingskuchen!", begeisterte sich Frau Rosel. "Machst du den auch mit guter Butter, Habbo?"
Der nickte brav. "Und 250 g Mandeln."
"Da kann man ruhig mehr nehmen", empfahl die Dicke, "Ich verwende immer 500 g ostfriesische Butter und exakt 325g Mandeln, 370g Zucker...."
"Du nimmst das immer so genau, Hedi!", meinte Frau Tete.
"Zahlen sind mein Metier. Schließlich mache ich seit Jahrzehnten die Buchführung in unserer Pension." Sie wandte sich gnädig wieder an Habbo. "Du fängst ja erst an. Und dass du als Mann so gut kochst und Kuchen backst, ist toll. Die Frau, die dich irgendwann kriegt, kann sich freuen. Hast du eigentlich schon eine Freundin?" Habbo wurde etwas rot. "Tee?", fragte er.
"Rumpunsch!", antwortete die alte Dame.
Das Gespräch wurde immer lebhafter.
"Da war ich noch ein Kind, ich muss so 6 oder 7 Jahre alt gewesen sein", erzählte Muddi, "da kam die Lale Andersen auf die Insel."
"Du warst älter", widersprach Frau Rosel, deren Teint immer mehr ihrem Namen entsprach. "9 Jahre."
"Nein, höchstens 7. So alt bin ich nämlich noch nicht!" Muddi hatte ganz entschieden den Drang, Recht zu behalten.
"9 Jahre!", beharrte Rosel mit etwas lauterer Stimme. "Ich bin 1 Jahr älter als du und im Schnapszahljahrgang geboren. Mein Onkel, der alte Kapitän Leiß hat zu Lale gesagt: ‚Min Deern, du kannst bi mir wohnen.'"
"Wegen der Nazis war das", wusste Frau Tete zu berichten. "Ach, die Lale war so nett. Als ich drei Jahre alt war, hat sie manchmal auf mich aufgepasst, und sie hat mir auch immer was vorgesungen." Sie begann mit zittriger Stimme zu intonieren: "Vor der Kaserne, vor dem großen Tor, stand eine Laterne, und steht sie noch davor..."
"Jaja", sagte Muddi unbeeindruckt. "Lale hat auch mit der freiwilligen Feuerwehr geträllert. In einer Kutsche sind sie über die Insel gefahren, und der Hans hat dazu Akkordeon gespielt."
"Im Radio wurde das Lied ja auch immer gesendet. Und in 50 Sprachen übersetzt. Das kannst du nicht wissen", wandte sich Frau Rosel an Habbo. "Ist schon so lange her. Habbo, wie alt bist du jetzt eigentlich?"
"34", gab der brav Auskunft. Mittlerweile hatte er vor der Macht der alten Damen vollständig kapituliert.
"Die Svenja kriegt ein Baby!", wechselte Frau Tete das Thema. "Wisst ihr das schon?"
"Ist die nicht schon über 40?", wollte Rosel wissen. "Ist doch dann immer ein Risiko."
"Blödsinn!", fuhr ihr Muddi über den Mund. "War ich auch, als Habbo geboren wurde."
"Die Lale hat ihre Kinder schon früh bekommen", glättete die rosige Dicke die aufkommenden Wogen: "Da war sie zwischen 19 und 24. Und sie hat immer gesund gelebt. Sie rauchte nicht und trank keinen Alkohol."
"Das machen wir doch auch so gut wie nie", behauptete Muddi im Brustton der Überzeugung.
 

Wann kam Lale Andersen zum ersten Mal nach Langeoog?
 

Lösung