Natürlich hat es viele Vorteile, ein Zwilling zu sein. Man hat
als Kind immer jemanden zum Spielen und Streiten. Abends genossen es meine
Schwester und ich, nach der elterlichen Gute-Nacht-Kontrolle in ein Bett
zu schlüpfen und in zahlreichen Fantasiewelten unterwegs zu sein.
Von unserem Fußball begeisterten Opa angesteckt, wurden wir in Zeiten
von Erwin und Helmut Kremers zu Welttorhüterinnen, die auch den verlorensten
Ball noch hielten und danach das Leder nahezu direkt in das gegnerische
Tor donnerten. In unserem Garten gab es eine virtuelle Parallelwelt aus
zahlreichen kleinen Häusern, eine Mini-Stadt. Der Keller unseres Hauses
enthielt Geheimverstecke, die für Erwachsene ebenso unsichtbar wie
unbegehbar waren.
Und es machte uns riesigen Spaß, andere zu verwirren. Dafür
tauschten wir gern unsere Kleider. Wobei die Kleiderordnung einem zunehmenden
Individuationsprozess unterlag.
Anfangs mit den komplett gleichen Klamotten ausgestattet,
unterschieden wir uns vorsichtig durch eine andere Farbwahl des gleichen
Modells.
Später bevorzugte meine Schwester Hosen und ich Kleider und Röcke,
was sich im Laufe der Zeit schon wieder etwas angeglichen hat.
Am Telefon sind wir bis heute kaum zu unterscheiden.
In der Schule war ich mit meiner Schwester in einer Klasse. Gewissermaßen
entstand dadurch eine "Halbbildung". Ich habe meist nur die Hälfte
der Hausaufgaben gemacht, die andere abgeschrieben. Arbeitsteilung. Und
da die Lehrer davon ausgingen, dass sich die Gedanken von Zwilling auf
Zwilling automatisch übertrugen, nahmen Sie uns nicht übel, wenn
wir zu denselben Lösungen kamen.
Ich hatte sogar in Physik eine Zwei, obwohl ich davon, im Gegensatz
zu meiner Schwester, wirklich keine Ahnung hatte. Allerdings war die zuständige
Lehrerin auch ein Zwilling.
Wenn wir Lust auf Süßigkeiten hatten, mussten wir nur im
Garten zweistimmig singen, und schon kamen die Bonbons über den Zaun
geflogen. Ich habe Musik als eine durchaus nährende Kunst erlebt.
Schon als kleine Kinder erhielten wir Klavierunterricht. Natürlich
spielten wir als Zwillinge auch vierhändig, schon allein deshalb,
weil die eine immer auf die Idee kam, zu üben, wenn die andere gerade
begonnen hatte, in die Tasten zu hauen und wir nur ein Klavier hatten.
Irgendwann in der Grundschule war ein öffentliches Konzert, wo wir
in gleichen Kleidern, Schühchen und praktischer Kurzhaarfrisur
auftreten sollten. Wer von Ihnen schon einmal vierhändig gespielt
hat, kennt das Problem. Man braucht manchmal dieselbe Taste. Oder dieselbe
Taste sehr kurz hintereinander. Da sind filigrane Absprachen erforderlich.
Dummerweise hatten wir das vorher versäumt, holten es aber vor versammeltem
Publikum nach. Im Verlauf des erbitterten Streitgesprächs schlugen
wir uns gegenseitig auf die Hände und schubsten uns von den Klavierstühlen.
Eltern sehen Zwillinge immer als Einheit: „KatharinaKlara!“ Und als
wir dann älter wurden, kamen sie auf die Idee, dass manche Sachen
nur im Doppelpack erledigt werden sollten. Zum Beispiel auf „Feten"
zu gehen. Dummerweise hatte meine Schwester dazu fast nie Lust, und wenn
ich sie mal breitgeschlagen hatte mitzukommen und dann gerade mit einem
Typen linkisch Händchen hielt, konnte ich sicher sein, dass sie plötzlich
neben mir stand, vorwurfsvoll auf die Uhr guckte und fragte: „Wann gehen
wir endlich?“
Spätestens da kam mir die Idee, einen Krimi zu schreiben…