Fall 1: Wo ist Kasimir? |
„Kasi ist weg.“
Luise guckte mich mit großen Augen an: „Was ist los?“
Manchmal ist meine Schwester erstaunlich schwer von KP. Man sollte
kaum glauben, dass sie Kassels jüngste und erfolgreichste Kriminalhauptkommissarin
ist. „Kasimir, mein Kater! Verschwunden.“
„Ach, so! Na, wird schon wieder auftauchen.“ Luise trank noch einen
Schluck Tee aus Oma Xenias altem Service. Wir saßen in der Küche
von Omas alter Wohnung. Gehört jetzt mir. Das ist die absolute Kurzfassung
meiner Lebensumstände, aber schließlich hatten wir ein dringendes
Problem zu lösen.
„Hast du die Wohnung schon durchsucht? Vielleicht hast du ihn im Kleiderschrank
eingesperrt.“
„Dann würde er einen Riesenaufstand veranstalten. Kratzen und
Maunzen, dass du ihn noch zwei Straßen weiter hörst. Ich fürchte
der ist rausgegangen.“
„Ich dachte, das wäre ein Stubentiger und noch nie draußen
gewesen.“
„Im Prinzip schon. Aber..“
„Verstehe. Du hast mal wieder deinen Schlüssel verklüngelt,
und als du die Wohnungstür aufgelassen hast, hat Kasimir die Chance
zur Flucht genutzt.“
„Möglich.“
„Die anderen Mieter im Haus hast du sicher schon gefragt.“
„Natürlich. Er ist weder bei Grete, noch bei Pünktchen. Maiers
haben ihn nicht zu Gesicht bekommen. Anni schließt auch aus, dass
er in die Wurstmaschine von ihrer Metzgerei im Erdgeschoss geraten ist.“
„Sehr beruhigend.“
„Sicher ist er zur Haustür raus. Durch die Katzenklappe, die Ahlewurscht
und Paganini nutzen.“
„Durch eben diese Klappe könnte er doch wieder hineinspazieren.
Wie seine Kumpels. Die Katzen bei euch im Haus haben vielleicht bescheuerte
Namen.“
Ich finde es gar nicht so abwegig, dass der Kater einer Metzgerfamilie
Ahlewurscht und der einer Geigenlehrerin, nämlich meiner Freundin
Grete, Paganini heißt.
„Hast du denn in der Nachbarschaft nachgefragt?“
„Natürlich. Sogar Fotos an die Bäume gehängt. 'Kasimir
vermisst'. Mit Telefonnummer!“ Ich zeigte Luise einen Abzug.
„Bisschen dunkel. Da kann man ja kaum was drauf erkennen. Kasi sieht
schwärzer aus als er ist.“
„Ich mache mir echt Sorgen. Er ist schon eine Woche weg. Vielleicht
haben ihn Tierfänger einkassiert. Oder irgendwelche Spinner für
eine schwarze Messe.“
„Übertreib mal nicht. Außerdem würden die sich einen
total schwarzen Kater suchen und keinen mit weißen Pfoten.“
„Hier laufen Kinder herum. Die haben auch schon Paganini mitgenommen.
Erst nach einer Woche hat Grete ihn wiederbekommen. Da haben die Eltern
das endlich gemerkt und nachgeforscht, wem er gehört.“
Ich ließ mich vor Xenias Karren spannen. Als hätte ich als
Kriminalhauptkommissarin nichts anderes zu tun. Und das, obwohl ich Kasimir
nicht einmal besonders mag. Für eine Katze ist er zwar ganz nett,
aber eigentlich finde ich Hunde besser.
Mein erster Anruf galt der „Wau-Mau-Insel“. Auf die Idee, im Tierheim
anzurufen, war meine schlaue Schwester, so weit ich weiß, bisher
noch nicht gekommen. Die hatten zwar eine reichliche Auswahl an Katzen.
In der letzten Woche war aber keine, auf die Kasimirs Beschreibung passte,
abgegeben worden.
Xenia und ich teilten die abzusuchende Gegend ein. Ich ging in der
weiteren Nachbarschaft herum. Am Laternenpfahl hing ein ramponiertes Fahndungsfoto
von Kasimir. Reichlich unprofessionelle Ausführung. Lediglich das
Bild, auf dem Kasi bedrohlich reinschwarz aussah, und Xenias Telefonnummer.
Ich hätte an Stelle meiner Schwester Pünktchen, den Computerspezialisten
aus dem 2. Stock zu Rate gezogen. Der hätte das bestimmt besser hingekriegt.
In einem Hinterhof saß ein Opa auf einem Plastikstuhl, scheinbar
froh über Abwechslung.
„'Ne schwarze Katze, sagen Sie? Mal überlegen. Vor 'ner Woche
vielleicht, ìst eine vorbeigekommen. Hübsches Vieh. Mit weißen
Pfoten. Ist im Hinterhof herumgelaufen und hat auf einen dämlichen
Jungspatz gelauert. Der ist dann in die Garage rein. Die Katze hinterher.
Der Besitzer ist für eine Woche auf Dienstreise. Kommt morgen wieder.“
Die Garage war abgeschlossen. Durch das geöffnete Seitenfenster
sah ich lediglich einen gepflegten Porsche. Auf der Kühlerhaube waren
mehrere rundliche Dreckflecke.
„Kasimir!“, rief ich versuchsweise. Keine Antwort.
Ich streunte weiter in der Gegend herum und kam mir schon fast selbst
wie eine Katze vor. Was wäre für ein Tier von Interesse? Wo würde
es eine viel versprechende Tür, eine Futterquelle sehen?
Zwei zerzauste, etwa 7 Jahre alte, Jungen kamen von der gegenüberliegenden
Straßenseite. Ziemlich zerschrammt! Sommerferien. Zeit, irgendwo
herumzuklettern, herunterzufallen, sich die Knie aufzuscheuern. Einer der
beiden trug eine zusammengerollte Jacke unter dem Arm. Der andere einen
kleinen Rucksack mit einem Namens- und Adressenschild dran. Wenn ich ein
Kind hätte, würde ich dem so etwas nicht an seine Gepäckstücke
heften. Da erfahren interessierte Pädophile gleich Namen und Wohnort.
Man kann nicht vorsichtig genug sein! Beide kicherten, als sie an mir vorüber
gegangen waren. Ich drehte mich um. Die Jacke bewegte sich.
„He, ihr zwei. Bleibt mal stehen!“
Sofort flitzten sie los. Hohe kriminelle Energie, schon in diesen jugendlichen
Alter! Oder einfach Vorsicht, weil sie mich schließlich nicht kannten?
Siebenjährige hole ich immer ein!
Ich packte den mit der Rolle an der Schulter. „Wiese, Kripo Kassel.
Jetzt lass mal sehen, was du da in deiner Jacke hast.“
War gar nicht nötig, dass er auspackte. Ein schwarzer Kopf mit
rosigen Öhrchen guckte heraus.
„Da sieh mal einer an! Ist das deine Katze?“
„Nee, nicht direkt. Die ist uns zugelaufen!“, sprang der andere ein.
Ich schälte das verängstigte Tier aus der Jacke. Es war nicht
Kasimir.
„Ihr könnt doch nicht einfach fremde Katzen einsacken. Habt ihr
das schon öfter gemacht?“
Beide senkten die Köpfe.
„Schon mal Gedanken darüber gemacht, dass die irgendjemand gehören,
der sie ganz schrecklich vermisst.“
„Die wird nicht vermisst. Glaube ich nicht. Die Oma, wo wir die her
haben, hat genug.“
„Die hat sich durch das Kippfenster in der Wohnung von der Oma gequetscht.“
„Und da haben wir gedacht….“
„Bei uns hat sie es besser. Ich hätte ihr auch vom Taschengeld
Futter gekauft. Ehrenwort.“
Ich warf einen Blick auf das Rucksackschild, prägte mir die Adresse
ein und versah die Jungen mit ein paar Ermahnungen. Dann nahm ich die noch
minderjährige Katze auf den Arm und ging zu der von den Kindern angegebenen
Adresse. Eine ältere Frau mit rosiger Haut und einem Knoten öffnete
die Tür.
„Ach Fridolin. Sie haben Fridolin gefunden. Das ist aber schön!
Danke!“
„Passen sie auf mit Kippfenstern“, riet ich ihr. Immerhin hatte mir
Xenia einen donnernden Vortrag darüber gehalten, wie gefährlich
eine solche Konstruktion für eine Katze werden kann, als ich mir erlaubt
hatte, in ihrer Wohnung das Küchenfenster entsprechend zu öffnen.
„Sie haben nicht zufällig Kasimir gesehen?“
„Kasimir? Ach, den schwarzen Kater mit den weißen Pfoten vom
Plakat. Nein. Ist hier nicht gewesen. Tut mir Leid. Hoffentlich finden
Sie ihn wieder. Man hängt doch so sehr an den Tieren, finden Sie nicht
auch?“
„Ja, sicher.“ Ich nicht, aber Xenia auf jeden Fall!
Ich schlenderte durch diverse Hinterhöfe, öffnete ein paar
angelehnte Garagentore. Nichts.
Zu zweit suchen, fühlte sich viel besser an als allein. Mit neuem
Elan durchkämmte ich die Nachbarschaft. Erfolglos. Niemand hatte einen
zierlichen schwarzen Kater gesehen. Ich befürchtete allmählich,
dass Kasimir vielleicht unter die Räder irgendeines Rasers geraten
war, der die Zone 30 missachtete. In einem Hinterhofgarten vier Häuser
weiter saß eine schwarze Katze auf einem Kirschbaum und maunzte kläglich.
Ich ließ mich sogar hinreißen, hinaufzuklettern und sie herunterzuholen.
Angeblich ist das ja Quatsch, weil die das irgendwann lernen. Aber so wie
sich das Tier auf eine im Hof stehende Vogeltränke stürzte, war
meine Rettungsaktion, kurz vor der Verdursten, gerade noch rechtzeitig.
Nach einer Weile kehrte ich erfolglos nach Hause zurück. Luise
war schon da.
„Dachte, du willst dabei sein, wenn wir deinen Kasimir abholen!“, erklärte
sie munter.
Wo ist Kasimir?